Jannis Niewöhner beim Pressetag in Berlin/Fotocredit: Nicola Scholz
Jannis Niewöhner beim Pressetag in Berlin/Fotocredit: Nicola Scholz

Ich bin auch ein Teil des Systems

 Ein Interview mit Jannis Niewöhner

 

Ich war glücklich, weil ich sofort geahnt habe das da was stattfindet was man sich für das deutsche Kino viel häufiger wünscht.“

- über den Film -

  

Jannis Niewöhner ist ein junger Schauspieler, der durch seine Rolle in der Edelstein-Trilogie bekannt geworden ist. Danach widmete er sich auch ernsteren Rollen.

 Er betritt den Raum, führt Smalltalk mit einem der Journalisten. „Toller Film, wirklich“, bekräftigt der Journalist und fragt, wie hat er eigentlich reagiert hat, als er die Zusage für diese Rolle bekam? „Ich war glücklich, weil ich sofort geahnt habe, dass da etwas stattfindet, was man sich für das deutsche Kino viel häufiger wünscht, nämlich eine gute Geschichte kombiniert mit Unterhaltung, Action, Spannung und Liebe.

 

Der Film könnte bestimmt auch irgendwann einmal im Unterricht gezeigt werden, zumindest dort, wo das Buch auf dem Lehrplan steht. Jannis glaubt, dass der Film praktisch dazu angelegt ist, um Teil des Schulprogramms zu werden – ähnlich wie der Film „Die Welle“ es zu seiner Schulzeit schon war. „Der war cool, den hat man sich als Jugendlicher gerne angeschaut, weil er nicht nur unterhaltend war, sondern auch eine Botschaft hatte. Darüber reden zu wollen. Ohne sich als Pflichtprogramm aufzudrängen, kann ich mir auch bei „Jugend ohne Gott“ vorstellen.“

  

Weniger politisch als bildungskritisch“

  

Was waren deine ersten Gedanken zu der Rolle des Zach?

„Yes, ich habe die Hauptrolle!“, sagt Jannis prompt und lacht über seinen eigenen Witz. „Ich glaube Zach ist jemand, der in einer Phase ist, in der ich mich auch immer noch befinde. Dies ist eine Phase, in der man sich ganz viele Fragen stellt und man auch viele Fragen hat, die man nicht beantworten kann. Viele verschiedene Gefühle haben Zach gleichzeitig im Griff und manchmal ist er unzufrieden mit sich selbst. Zach ist ein Suchender, der sich einen Weg bahnt, auch wenn er ihm versperrt wird, das kann ich ebenfalls nachempfinden.“

 

Zach ist also der Systemkritiker, der alles hinterfragt. Wo sieht Jannis die Relevanz der Geschichte für die heutige Zeit?

„Es gibt die Relevanz zu unterhalten, und es gibt die Relevanz aufmerksam zu machen auf einen Zustand der schon jetzt ganz stark spürbar sind.“ Auch dass der Film in der Zukunft spielt, findet Jannis eine gute Entscheidung. Der Zuschauer wird im Kino sitzend sich denken: „Ich habe gerade gedacht, dass es in der nahen Zukunft spielt, eine Welt, die weit entfernt ist, um dann festzustellen, dass sie eigentlich sehr nah ist. Man fängt dann auch eher an, das im Film dargestellte System mit dem heutigen zu vergleichen, auf die Gefahren, die dahinterstecken. Auch darauf macht der Film aufmerksam.“

 

Welche Gefahren sind das denn?

„Vor allem, dass man an Individualität verliert“, antwortet Jannis. „Für mich ist der Film auch weniger politisch als vielmehr bildungskritisch,“ holt Jannis weiter aus, „jegliche Kreativität wird durch Leistungsdruck untergraben, und Individualität wird eigentlich nicht mehr wirklich geschätzt.“

 

Man könnte es auch so formulieren: In dieser Welt ist Zach der Unangepasste. Inwieweit ist das Jannis auch manchmal?

„Das bin ich, glaube ich, und durfte ich auch schon so manches Mal in meiner Kindheit sein.“

 Jannis ist in einem Dorf groß geworden, da gilt Schauspielerei als verpönt. Unangepasst sein heißt in seinem Fall dann auch schon mal, nur solchen Dingen nachzugehen. „Wenn ich jetzt, was ich die letzten Tage sehr viel gemacht habe, über den Film nachdenke, muss ich zugeben, dass ich auch angepasst und daher Teil des Systems bin. Das Schlimme ist, dass man sich dann trotzdem sehr häufig unangepasst fühlt.“

 

Man legt automatisch alles darauf aus“

 

Jannis denkt also auch im Nachhinein noch viel über die Filme nach, in den er mitgewirkt hat. Hat er denn manchmal das Gefühl, dass ihn Rollen wie die des Zach oder, um das extremere Beispiel zu nennen, Tim aus „4 Könige“ verändern oder sein Denken beeinflussen?

„Auf jeden Fall“, gibt Jannis prompt zu. Das gehört zum Glück zu seinem Beruf: über die Welt nachzudenken und sich mit seinen Charakteren zu vergleichen. „Ich würde jetzt nicht behaupten, dass ich so düster bin wie Zach. Manchmal ist das aber vielleicht auch ganz gut, so zu denken und sich die Gefahren zu vergegenwärtigen.“ Die Rollen beeinflussen ihn. Es ist zwar weniger ein method acting, wo die Rolle ihn übernimmt, aber der Schauspieler wechselt mit der Geschichte und der Figur, die er verkörpert, an einen anderen Ort und das bleibt nicht ohne Wirkung. Das ist vielleicht auch schwieriger, als man zugeben mag, aber Jannis liebt seine Arbeit und alles, was sie mit sich bringt wie zum Beispiel jemand anderer sein zu dürfen.

 

Wie lange dauert es, bis man in so einer Figur wie Zach „drin“ ist, so denkt wie er und auch so fühlt wie er? Inwieweit kann Jannis sich von seinem wirklichen Ich verabschieden?

„Ich denke weniger, dass ich mich verabschieden muss von mir. Stattdessen gucke ich, welcher Teil der Rolle in mir ist oder von der Rolle in mir. Deshalb glaube ich auch daran, dass man eigentlich alles spielen kann, weil alles irgendwie Teil von einem ist. Und diese Offenheit, mit der ich versuche, durchs Leben zu gehen, um gewisse Dinge nachzuvollziehen oder für alles ein Verständnis haben zu können, das ist mir wichtig.“

„Es ist schwierig diesen Prozess zu beschreiben, bei mir funktioniert viel über die Musik.“ Jannis läuft gerne ziellos durch die Gegend, nimmt sich Zeit zum Nachdenken, auch über Themen wie die, mit welcher sich der Film befasst: „Wenn es einem wichtig ist, etwas zu erzählen, legt man automatisch alles darauf aus.“

 

Gibt es eine Rolle, die Jannis noch nicht gespielt hast, aber gerne spielen würde?

Vor drei Jahren hätte er das noch beantworten können. Jetzt spielt er eigentlich genau die Rollen, die er immer gerne hatte spielen wollen. „Aber klar gibt es auch noch viel, was ich ausprobieren will. Ich bin zum Beispiel ein totaler Actionfan. Bourne Identity find ich gut.“

 

Was hat er mitgenommen von der Zeit am Set von Jugend ohne Gott und auch vom Film selbst

„Das hatte schon Klassenfahrtcharakter! Abends haben wir uns immer mit allen zusammengesetzt.“

Aus dem Film selbst nimmt er viele Gedanken, Anstöße und die Gewissheit mit, sich eingestehen zu müssen, wie viel man selbst Teil der Bewegung ist, die sich bereits angekündigt hat und immer mehr in die Richtung geht, die der Film beschreibt.

 

Einer der Grundsätze in meinem Leben ist, das der Vergleich mit anderen, genauso wie Neid, nie etwas bringt.“

 

Für den Film hat Jannis sich schon von Anfang an eingesetzt und als Zach durchgesetzt. Trotz das er für seine Rolle als erster feststand, ist er zu allen anderen Castings gefahren, um mit den verschiedensten Schauspielern vorzuspielen.

„Anspiel-Castings sind oft für einen selbst noch viel spannender“, erklärt er. „Du bist in einem Raum und nacheinander kommen 5 Mädels rein und alle spielen die Ewa. Zu sehen wie jede ihre Rolle anderes interpretiert und dann auch zu sehen, wie sich das auf den Charakter der eigenen Rolle auswirkt, ist spannend und ein guter Test für sich selbst.“ Er war auch in die Frage einbezogen, wer denn besser in sein Gegenüber passt, mit wem er besser harmoniert. Klar, dass es zwischen ihm, Jannik und Emilia gut harmoniert, sind sie doch schon länger miteinander befreundet und kennen sich demzufolge sehr gut. „Da hat man eine gemeinsame Spiellust und Vertrauen zueinander“, fasst Jannis es zusammen.

 

Wie realistisch ist der dystopische Blick in die Zukunft?

„Sehr realistisch, wenn man die digitalisierte Welt betrachtet und wie sie sich entwickelt. Vor 5 Jahren gab es das noch nicht, dass jeder wusste, wo ich mich aufhalte. Und das wird auch noch schlimmer werden“ Diese Chips zum Beispiel, die sie im Film unter die Haut gespritzt bekommen, die gibt es schon in der Schweiz. Ein angstvoller Blick in die Zukunft, wenn man sich das vor Augen führt! Bereits in seiner Schulzeit hat Jannis das Gefühl kennengelernt, sich nicht wirklich frei zu fühlen, dem Gruppendruck unterordnen zu müssen. Es gab Dinge, die als uncool galten und deshalb seinließ. Dieser Druck ließ nach der Schule nach, als er anfing, die Dinge zu machen, die sich gut anfühlten.

 

Wie gut bist du darin, Plattformen wie Instagram zu bedienen?

„Sehr gut!“, lacht Jannis. Obwohl er auch erst spät damit angefangen hat. Maria Ehrich hat ihn unter anderem darauf angesprochen, dass er doch gerne Fotos mache, die er mit seinen Freunden teile und wieso er sie nicht auf Instagram hochlade und mit noch mehr Leuten teile? „Ich sehe das eher als den Spaß daran meine Fotos zu teilen.“ Ganz ohne Hintergedanken findet er sich als Teil des Systems wieder, was ihm aber keine Kopfschmerzen bereitet, denn wichtig ist, dass man dahintersteht, gerade einen tollen Film gemacht zu haben. Dann ist auch Instagram eine geeignete Plattform, Werbung dafür zu machen.

 

In dem Film geht es ja auch um den Besseren, den Stärkeren. In der Realität kann es auch mal vorkommen, dass man eine Rolle nicht bekommt. Wie geht Jannis mit solchen Ereignissen um?

Klar gibt es dann den Gedanken, der andere ist der Bessere, aber das ist der falsche Gedanke. Man ist immer so gut, wie man nur sein kann. Einer der Grundsätze in meinem Leben ist, dass der Vergleich mit anderen, also auch der Neid, nie etwas bringt.“ Andere mag der Neid anstacheln, doch Jannis stachelt eher etwas anderes an: das Beste aus sich selbst herauszuholen.

 

Mein persönlicher Held ist mein Vater.“

 

Ödön von Horváths Roman und der Film „Jugend ohne Gott“ thematisiert die Bedeutung der Wahrheit. Im Film steht die Figur des Lehrers dafür. Horvath sagte dazu: „Die Lüge ist die Mutter aller Sünden.“ Heißt das, wenn wir alle wahrhaftig und ehrlich wären, und zwar in allem, was wir tun, dann hätten wir eine bessere Welt.

„Das weiß ich nicht“, sagt Jannik nachdenklich. Die Frage wiegt schwer im Raum. „Grundsätzlich würde ich sagen: Niemand weiß, was die Wahrheit ist und was die Lüge. Viele wandeln auf dem Pfad zwischen Wahrheit und Lüge. Viele lügen und nennen es Wahrheit. Niemand kann sich davon ausschließen. Man kann aber auch sagen: Der Absicht zu lügen sollten wir nicht nachgeben! Im Gegenteil. Wir sollten dem entgegenarbeiten. Wenn ich jetzt Lüge und Wahrheit vergleichen müsste, dann ist eines klar: Die Wahrheit ist das erstrebenswerte.“

 

Hat Jannis einen Helden im Leben?

„Mein persönlicher Held ist mein Vater,“ gesteht er. „Mein Vater ist der perfekte Hippie. Er ist der fröhlichste und liebenswürdigste Mensch, den ich kenne. Das waren immer die wichtigsten Werte und deshalb ist er mein absoluter Held.“

Musikalisch wäre es Clueso, sagt er noch, den hat er mit 14 Jahren viel gehört.

 

Irgendwann, denke ich, werde ich wieder auf dem Land leben.“ - zu der Frage ob er es bereut hat nach Berlin gezogen zu sein -

 

Gibt es noch Lehrer, an die Jannis sich gern erinnerst?

„Ja, Herr Lichtenberg, im Leistungskurs „Deutsch“. Das war jemand der hat mir die Möglichkeit gegeben, mich in den Dingen für die ich Zugang hatte, auszutoben. Das war ein Geschenk, das man sich von allen Lehrern erträumt.“

 

Hat er die Chance, nach Berlin gezogen zu sein, jemals bereut?

„Niemals“, sagt Jannis sofort. Diese Offenheit, sein zu dürfen, wer man ist, die hat er in Berlin gefunden. Wenn er an seine Freunde denkt, mit den er aufgewachsen ist, dann haben nicht alle dieselbe Chance bekommen, tun zu dürfen, was sie wollten.

Als ihn seine Mutter letztens besuchen kam, brauchte sie nach den ersten Begegnungen auf dem Bahnhof in Berlin eine Pause: Sie hatte einen Bettler gesehen und eine weinende Frau.

„Da ist man, wenn man das Tagtäglich sieht, nach einiger Zeit wohl abgestumpft, ist Jannis klar geworden. „Irgendwann, denke ich, werde ich wieder auf dem Land leben.“